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Im Land von Schein und Sein

Die Ukraine will zu Europa gehören. Dafür machen private Galerien Kulturpolitik. Und schräge Künstler vermarkten den Präsidenten

Von Barbara Lehmann
29. Januar 2004 Quelle: (c) DIE ZEIT 29.01.2004 Nr.6

Kiew am Morgen. Eine Fata Morgana, ein einziger Trip. Der Platz der Unabhängigkeit: ein nationales Disneyland. Früher hieß er Platz der Oktoberrevolution und das Hotel im Hintergrund Moskau, davor stand eine Lenin-Statue. Nun steht „Ukraina“ auf dem stalinistischen Wolkenkratzer, und im Himmel über Kiew schwebt, einen Schneeballzweig schwingend, das „Mädchen Ukraine“ auf einer korinthischen Säule. Dahinter schiebt sich das Glashalbrund des unterirdischen Einkaufszentrum Globus ins Bild. Links erheben sich Kiews legendäre Stadtgründer als wehrhaftes Quartett mit Pflug, Schwert und Bogen, rechts greift der bronzene Kosack Mamaj in die Saiten seiner Bandura. Auf der anderen Seite des Platzes breitet der Erzengel Michael, Kiews Schutzpatron, auf der Rekonstruktion eines alten Stadttors die goldenen Schwingen aus. Dazwischen wölben sich immer wieder gewächshausähnliche Blasen: Globus bohrt sich auf der Suche nach Licht durch die Steine.

1000 Jahre unabhängige Ukraine werden hier als staatliches Über-Ich zelebriert. Das Kiewer Reich, der Kosakenstaat des 17. und 18. Jahrhunderts und die ukrainische Volksrepublik von 1918 presst man in ein nationalstaatliches Kontinuum. An der Neugestaltung des Platzes verdienten vor allem Kulturbürokraten, die der Regierung von Leonid Kutschma hörig sind. Doch in Wirklichkeit ist die Ukraine gerade mal zwölf Jahre jung. Das heterogene Staatsgebilde, flächenmäßig der größte rein europäische Staat (das größere Russland hat einen asiatischen Teil), eint vor allem das halbe Jahrhundert gemeinsamer sowjetischer Vergangenheit. Anfang der Neunziger hatten Menschen aus allen Landesteilen auf dem noch nicht zugebauten Platz eine Zeltstadt errichtet und für die Ablösung des sowjetischen Premierministers gehungert. Die Kutschma-Regierung übernahm bei der Neugestaltung des Platzes zwar das Freiheits- und Unabhängigkeitspathos der westukrainischen Nationalbewegung Ruch. Doch gleichzeitig hat sie den Ort für zukünftige Demonstrationen untauglich gemacht. Als Kiews Lebensader, sein Unbewusstes, pulsiert jetzt die unterirdische Einkaufsstadt.

Nichts ist hier, was es scheint. Fürst Potjemkin blendete seinerzeit Zarin Katharina II. auf ihrer Reise durch seine südukrainische Heimat mit frisch aufpolierten Fassaden, die Gelman-Galerie dagegen tarnt sich durch Bescheidenheit. Die Dependance der großen Schwester in Moskau duckt sich unweit vom Platz der Unabhängigkeit in einer kleinen, hügeligen Seitenstraße im Souterrain. An den Wänden Fotos mit sibirischer Konzeptkunst: Künstler mit Putin-Masken vor dem Gesicht stapeln sich auf einem Sofa. Im Büro dahinter ein Ölporträt des schnauzbärtigen Jurij Andruchowytsch, des vielleicht bekanntesten Schriftstellers der Ukraine. Melancholisch starrt er in ein Glas auf seinem leeren Schreibtisch. In Wirklichkeit aber ist die Galerie der Think Tank einer neuen Kulturpolitik, die sich mit dem Label der Modernität schmückt. Marat Gelman, einst Wahlkampfstratege des russischen Präsidenten Putin, seit kurzem stellvertretender Direktor des 1. russischen Fernsehkanals, finanziert sie aus den Mitteln seiner Kiewer Consulting-Firma, welche die Drähte zwischen russischer und ukrainischer Präsidialverwaltung ölt. So wird Putins neue Machtpolitik lanciert; 30 Prozent der ukrainischen Industrie sind inzwischen wieder in russischer Hand.

 

Alles wie zu Sowjetzeiten – nur die Angst ist weg

Der Galerieleiter Alexander Roitburd, ein jüdischer Künstler aus Odessa, hockt verkatert in seinem Büro vor einer Cola light. Gestern war Vernissage und die Nacht lang. Die neue Ausstellung der Galerie, wegen der Größe im Haus der Künstler gezeigt, soll der Grundstein für das erste ukrainische Museum für zeitgenössische Kunst sein. Doch die Erste Kollektion, die als nationales Projekt angepriesen wird, dient vor allem Gelmans Profitmaximierung. Als Mäzen hat er Viktor Pintschuk vor den Karren gespannt, den Schwiegersohn des Staatspräsidenten, einen milliardenschweren Dnjepopetrowsker Oligarchen. Der Stahl- und Pipelinekönig ist eines der Häupter von drei Clans, die mit dem Präsidentenapparat eng verwoben sind und das Land im Würgegriff halten. Daneben ist er aber auch Abgeordneter, potenzieller Präsidentschaftskandidat für 2008 und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Eigentlich sammle Pintschuk die russische Moderne, erklärt der Galerist Roitburd, doch Malewitsch, Burljuk und Tatlin seien schließlich waschechte Ukrainer. Nein, die Avantgarde von heute lasse sich nicht wie ihre Vorläufer für die Politik missbrauchen: „Die Ukraine ist wie ein Reiter ohne Kopf, die Elite wurde durch die jahrhundertelange Annexion des Landes ausgedünnt. Das Museum wird ein Schritt zur Modernisierung des Bewusstseins sein.“ Roitburd, ein Maler sadomasochistischer Szenen im antiken Verfallsambiente, verlor unlängst Frau und Tochter an Amerika. Als er dort nicht reüssieren konnte, kehrte er zurück nach Kiew.

Werke von 50 ukrainischen Künstlern wurden für die Erste Kollektion auf die Schnelle von den Karpaten bis zum Schwarzen Meer zusammengetragen, auch von Oleg Kulik, Boris Michailow und anderen Größen, die im globalen Kunstgeschäft eigentlich als Russen gehandelt werden. Ölschinken, Skulpturen, Fotos, Videoprojektionen reihen sich dicht an dicht, pseudoradikale Gesten und viel Anbiederung an westliche Marktstrategien. Ein Flickenteppich, so heterogen wie das Land zwischen Lemberg und Charkiw, durch das die Großmächte aus West und Ost jahrhundertelang willkürlich ihre Grenzen zogen. Ab und an immerhin ein Bild, das die Diskrepanz zwischen der brüchigen Wirklichkeit und den hochfliegenden Selbstentwürfen entlarvt. Der Charkiwer Fotograf Sergij Bratkow zeigt vier halb nackte Kundinnen einer Samenbank. In der Hand halten sie Konservendosen mit den Spermien ihrer Traumprinzen, Juan Carlos zum Beispiel oder LeopoldIII. Manchmal kippt die ohnehin absurde Wirklichkeit endgültig ins Surreal-Bedrohliche: Endlos fährt in Glib Katschuks und Ihor Tschazkins Video eine Straßenbahn durch Odessa, vorbei an Industrieruinen und scheckigen Häusern, und plötzlich, für einen Wimpernschlag, beginnt eine Mauer zu tanzen, baumelt ein Erhängter am Baum, schrumpfen Kinder zu Zwergen, um dann wieder in Orginalgröße zu winken. Hier, wo die Wirklichkeit durch ständigen Wandel bis zur Unkenntlichkeit verformt wurde, muss die Kunst doppelte Verfremdungstechniken aufbieten.

Kiew: die Mutter der russischen Städte, Sitz der Kiewer Fürsten. Die weiße Stadt prangte schon im Glanz ihrer Kirchen, als Moskau noch gar nicht auf der Landkarte erschienen war. Die Fresken der Sophienkathedrale sind der Flügelschlag der Orthodoxie, während sich in den dunklen Stollen des Höhlenklosters Lawra die lebensfrohen Schönen der Stadt zu demütigen Hutzelweibchen krümmen, angezogen vom Sog einer jenseitigen Dramaturgie. Später war die Stadt, weit abgeschlagen hinter Moskau und Petersburg, nur die ewige Dritte im russisch-sowjetischen Städteverbund. Als nach dem Reaktorunfall im 100 Kilometer entfernten Tschernobyl die radioaktiven Wolken herüberwehten, sollte Kiew zur „dritten Zone“ erklärt werden. Am Komplex der Provinzialität hat die Stadt bis heute zu nagen. Jetzt boomt sie erst mal, als neues administratives Zentrum, als Staat im Staat – und hat ihrerseits die übrigen ukrainischen Großstädte, Odessa, Lemberg, Charkiw, Dnjepropetrowsk, zur Provinz degradiert. Es ist, als habe die Stadt eine jahrzehntelange Ehe mit einem Alkoholiker hinter sich und putze sich nun für die neue Eigenständigkeit.

Ortstermin am Petscherskij-Gericht. Das zweistöckige klassizistische Stadthaus steht unauffällig in einem Hinterhof der Hauptstraße Chreschtschatyk. Innendrin arme Seelen auf fleckigen Bänken, ein lächelnder grauhaariger Grandseigneur wird in Handschellen abgeführt. „Ein Horror-Movie“, sagt Jerzy Onuch, „eine Travestie, in der wir alle nur Puppen sind.“ Onuch, Leiter des Zentrums für Zeitgenössische Kunst, wartet schon seit elf Uhr – und mit ihm starrt eine Phalanx von Mitangeklagten und Anwälten das braune Linoleum an. Im Jahr 2000 wurde Onuch vom Premierminister zum Kurator des Ukrainischen Pavillons der Biennale in Venedig ernannt. Doch im Künstlerverband, diesem toten Körper aus Sowjetzeiten, hielt man ihn, den gebürtigen Polen, für nicht würdig und zudem für einen Agenten des philantropischen Spekulanten George Soros. Kurz vor der Eröffnung der Biennale wurde Onuch abgesetzt. Auf einer Pressekonferenz in Venedig kritisierte er daraufhin die Ukraine als größte aller postkolonialen Gesellschaften. Ein ideeller Schaden von mehr als einer Million Dollar sei dadurch entstanden, behauptet nun Onuchs damaliger Nachfolger Valentin Rajewskij, fordert Schadensersatz – und klagt gleich noch gegen die Soros Foundation sowie Journalisten, die die Kritik veröffentlichten. Ein Musterprozess zur Abschreckung aller, die auf Meinungsfreiheit beharren. „Die politischen und sozialen Probleme werden auf dem Altar der friedlichen Gesellschaft geopfert“, sagt Onuch. „Hinter dem viel beschworenen sozialen Frieden verbirgt sich nur Stagnation.“

Endlich lädt die Richterin in den Sitzungssaal. Missmut hängt in der Luft, Papiere werden hin- und hergeschoben, die Anwesenden sagen Geburtsort und Namen auf – es ist bereits die dritte Richterin, und der Fall wird wieder mal neu aufgerollt. „Alles ist wie im Sowjetsystem“, zischt Onuch, „bloß die Angst ist weg. Ich fühle mich wie in Gefangenschaft.“ Seit zwei Jahren wird er einmal im Monat hierherbestellt. Die monatlichen Anwaltskosten verschlingen die Hälfte seines Gehalts.

Hinter Kiew, sagt Onuch, beginne der eigentliche Horrortrip: ausgelaugte Felder, verseuchte Flüsse, veraltete Fabrikanlagen, zerfallende Häuser – es ist, als sei ein böser Gott mit einem giftigen Pflug über die Erde gefahren. Die Arbeitslosigkeit beträgt angeblich nur 2 Prozent, doch in Wirklichkeit ist sie wohl bei 20 angekommen. Die Schattenwirtschaft blüht, jeder hat mindestens drei Jobs und rennt dorthin, wo die nächste Futterkrippe steht. Dabei hat die Ukraine nicht nur fruchtbare schwarze Erde, sondern auch Bodenschätze wie Kohle und Eisenerz. Doch die Landwirtschaft stirbt, ganze Dörfer im Osten veröden, sind ohne Wasser und Strom, Brot wird nur einmal in der Woche geliefert. Ein Großteil der Bewohner der galizischen Städte pendelt in den Westen, um dort zu Dumpingpreisen zu arbeiten. Drei Millionen Menschen haben in den letzten zehn Jahren das Land verlassen. „Ein Zustand wie vor dem Krieg“, sagt Jerzy Onuch.

Das Zentrum für Zeitgenössische Kunst. Hinter fünf Meter dicken Mauern, unter dem weißen Kuppelgewölbe scheint noch immer die Stille zu sitzen. Eine mönchische Bruderschaft hat das Gebäude ursprünglich errichtet. Eine der ältesten Universitäten Osteuropas residierte hier, bis KatharinaII. den Konkurrenten für ihr Moskau schließen ließ. Später waren hier die Akademien des Kiewer Patriarchats und der Sowjetflotte einquartiert; jetzt ist nebenan wieder die Uni eingezogen.

Jerzy Onuchs neueste Ausstellung Ukrainer, Ukrainer zog allein zur Eröffnung 2000 Besucher an. 127 Menschen hat der Fotograf Ihor Haidai vor einem schwarzen Baumwollplafond ins Scheinwerferlicht gestellt. Was verbindet das blonde Lemberger Model mit den Schlaghosen und dem Baby im Arm mit dem früh gealterten Mutter-/Tochter-Paar aus Poltawa, Bäuerinnen mit knotigen Händen, die zum Fototermin ihr einziges schwarzes Festtagsgewand aus der Truhe holten? Was hat der mit nacktem Oberkörper und Schlagbohrer posierende Bergmann aus Donezk, der morgens noch schnell die geklaute Kohle verhökert, mit dem reichen Kiewer im feinen schwarzen Tuch zu tun, der mal eben den neuesten Mercedes der S-Klasse bestellt? Was vereint Oppositionsführer Viktor Juschtschenko oder die Klitschko-Brüder mit Folklore-Sängern, Popen, Putzfrauen und Polizisten? Ungeschminkt stehen sie da, mal lässig, mal linkisch. Ein stummer Chor, Repräsentanten einer verspäteten Nation, zwischen denen nicht nur Lichtjahre von Herkunft, Milieu und Ethnie liegen. Während der Westen, einst eingebunden ins Habsburger Reich, traditionell nach Europa schaut, haben die Zentralukraine, der Osten und Süden die russische Kolonialpolitik so internalisiert, dass sie sich noch immer als Teile des russischen Imperiums empfinden. „Wer die Grenzen zur Ukraine überschreitet, betritt eine babylonische Utopia-Station, ein Transitgebiet, ein Territorium unverständlicher Akronyme. Die Kernfrage für uns Ukrainer ist doch: Wohin gehören wir überhaupt?“, sagt Jerzy Onuch.

In den neunziger Jahren wurde sein Zentrum von der Soros-Stiftung aufwändig renoviert und mit internationalen Projekten betraut. Jetzt beträgt das Jahresbudget gerade noch 35000 Dollar; Onuch, der mal ein Jahresgehalt von 40000 Dollar bekam, verdient nun 100 Dollar im Monat – immerhin das Zweifache des ukrainischen Durchschnittslohns. „Man kann nicht gleichzeitig nach Osten und Westen schielen, Eurasier und Europäer sein. Das sind verschiedene Paradigmen. Doch ich habe keinen Zweifel: Es wird keinen anderen Weg als den nach Europa geben.“

Die Stadt, eine Sphinx, täuscht den Besucher mit immer neuen Gesichtern. Kaum meint man sie zu kennen, entzieht sie sich wieder. Immer wieder war sie in der Hand wechselnder Besatzer – Mongolen, Litauer, Polen, Russen, Deutsche –, eine störrische Geliebte, die man zwar nehmen, aber nie besitzen konnte. Es gibt Straßenzüge, die erinnern an Wien oder Paris – und dann glaubt man wieder im tiefsten Russland zu stehen. Zweisprachig, zwischen Russisch und dem durch die zaristische und sowjetische Nationalitätenpolitik diskreditierten Ukrainischen hin- und herlavierend, multikulturell, polyglott, multikonfessionell, sitzt die Stadt die Gegensätze einfach aus. Mehrere Zeitalter hat sie im letzten Jahrzehnt durchlebt, aus der Dynamik des Unvereinbaren bezieht sie ihre Energie. Wenn demnächst zehn weitere Länder der europäischen Union beitreten, verschiebt sich Mitteleuropa – lange Zeit eine historische Realität, später der Traum einer Hand voll Literaten – vielleicht nach Kiew.

 

Der Übervater der Nation als Mumie im Einmachglas

Das Büro des Masoch-Fonds liegt, zehn Minuten Autofahrt vom Chreschtschatyk entfernt, hinter vergitterten Fenstern im Erdgeschoss. Ihor Podoltschak und Ihor Djurytsch haben, wie Leopold von Sacher-Masoch aus Lemberg, von dem galizischen Autor ausgefallener erotischer Phantasmen und biederer historischer Romane nicht nur den Namen, sondern auch die provokante Attitüde übernommen. Ihre spektakulären Performances, Installationen, Foto- und Videomontagen bestimmen die Grenzen zwischen Kunst, Werbung und Politik ständig neu. Sie nehmen nationale Komplexe wie nationenübergreifende Phobien ins Visier. Den ersten ukrainischen Staatschef Krawtschuk, wie Lenin ein Übervater der Nation, beerdigten sie im Mausoleum, einem mit der ukrainischen Nationalspeise Salo gefüllten Einmachglas. Oder sie kreierten einen mit Nervengas gefüllten Parfümflakon namens Saddam Hussein. Gleich nach dem Einzug stattete die Miliz den Masochisten einen Besuch ab – sie vermutete hier potenzielle Attentäter auf die vorbeirauschenden Regierungslimousinen. In der Küche hängen Männermonster im Stil des Briten Lucian Freud, den Flur ziert ein Plakat, in dem Präsident Kutschma im offenen Hemd als Punk mit blauen Haarstoppeln posiert. Podoltschak und Djurytsch arbeiteten im letzten Wahlkampf als Imageberater des Präsidenten. Da eine politische Botschaft fehlte, positionierten sie das Produkt Kutschma je nach Zielgruppe, Kutschma als Punk etwa hing in kleiner Auflage in den Clubs. Nur Kutschma als Schwuler kam über das Entwurfsstadium nicht hinaus.

Ist die Ukraine vielleicht nur ein Label, eine gigantische Marketing-Aktion? Das kollektive Unbewusste, sagen die beiden Künstler, halte jedenfalls die absurdesten Kombinationen bereit. Unmöglich, die unterschiedlichen Regionen, Religionen, Mentalitäten ein Land zu nennen. Einzig der Vorwahlkampf für die Abstimmung über den Präsidenten im Oktober 2004 schaffe kurzfristig eine Kommunikationsstruktur. Der hat gerade hart und rücksichtslos begonnen: Ein Thronfolger für Kutschma wird gesucht, der diesem nach seinem Ausscheiden Immunität garantiert. Oder Kutschma erschleicht sich doch noch eine dritte Amtszeit. Viktor Juschtschenko jedenfalls, der im ganzen Land beliebte Kandidat der Westukraine, wurde gerade aus dem Staatsfernsehen entfernt. Auf den ersten Parteikongressen von Unsere Ukraine denunzierten ihn Kutschma-Anhängern als Faschisten und bewarfen ihn mit Eiern.

Also warten Djurytsch und Podoltschak auf neue lukrative Wahlkampfaufträge, egal von wem, die Parteiprogramme seien ja eh austauschbar. Bislang leben sie noch von den Honoraren aus der Imagekampagne 2000, die ihnen damals in großen Bündeln ins Haus geliefert wurden. Ihr eigenes Großprojekt konnten sie bislang nicht realisieren. Für die Biennale in Venedig wollten die ironischen Provokateure, die doch im Herzen Patrioten sind, Politiker als die besten Künstler des 20. Jahrhunderts präsentieren: Hitler als Installationskünstler eines Brillenbergs, Chruschtschow als Erbauer der Berliner Mauer, Truman als Schöpfer des Atombombenpilzes. Dann wurde ihr Protegé Jerzy Onuch geschasst, was bleibt, ist Katastrophenstimmung, Wodka-getränkt: „Europa sieht die Ukraine nur als riesigen Absatzmarkt. Wenn Juschtschenko verliert, wird die Westukraine sich separieren. Das Land ist ein riesiges Pulverfass.“